Strategie
„Unser Erfolgsrezept sind Mut, Geschwindigkeit und Zuversicht“
WACKER hat sich bis zum Jahr 2030 klare Ziele gesetzt. Der Jahresumsatz des Konzerns soll auf über 10 Milliarden Euro wachsen, bei einer EBITDA-Marge von mehr als 20 Prozent. Vorstandschef Christian Hartel über den Weg dorthin, die Hebel, auf die das Unternehmen dafür setzt, die Schwerpunkte in den einzelnen Geschäftsbereichen und was WACKER widerstandsfähig macht in Zeiten des permanenten Wandels.
Herr Hartel, WACKER verfolgt seit dem vergangenen Jahr neue strategische Ziele. Bis 2030 soll der Umsatz im Konzern auf mehr als 10 Milliarden Euro ansteigen. Sie selbst haben bei der Vorstellung der Strategie in London von beschleunigtem Wachstum gesprochen. Wie will das Unternehmen das erreichen?
CH: Beschleunigtes Wachstum ist der zentrale Teil unserer Strategie bis 2030, weil wir uns dieses Wachstum zutrauen. Die Grundlage sind die Erfolge aus den letzten Jahrzehnten, die wir gemeinsam mit unseren Kunden erzielt haben. Wir sehen tatsächlich viele Möglichkeiten für weiteres Wachstum. Ganz wichtig dabei ist: dass wir dieses beschleunigte Wachstum begleiten. Mit höheren Investitionen in zusätzliche Kapazitäten in der Produktion, aber auch in der Entwicklung – überall auf der Welt.
WACKER legt für das abgelaufene Geschäftsjahr neue Rekordzahlen vor – trotz des Krieges in der Ukraine, der stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise und der hohen Inflation: 8,2 Milliarden Euro Umsatz, ein EBITDA von rund 2,1 Milliarden Euro. Sind angesichts der Zahlen die Ziele für 2030 nicht zu konservativ?
CH: Zunächst einmal: 2022 war ein ganz hervorragendes Jahr für WACKER. Die starke Nachfrage unserer Kunden, aber auch das hohe Engagement des WACKER-Teams haben dieses hervorragende Ergebnis ermöglicht. Unsere Strategie bis 2030 ist eine Richtschnur, an der wir uns orientieren. Wir wollen im Umsatz auf über 10 Milliarden Euro wachsen. Doch eine solche Entwicklung ist natürlich nicht linear zu betrachten. Wir haben im Jahr 2022 sehr gut vorgelegt. Es werden aber bis zum Ende dieses Jahrzehnts sicherlich auch Jahre kommen, in denen es schwieriger wird. Dennoch, wir sind überzeugt, dass wir unsere Ziele erreichen können. Und eines möchte ich noch hinzufügen: Unser Umsatzziel heißt über 10 Milliarden, nicht nur genau 10 Milliarden. Da ist also noch Phantasie nach oben.
Seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine wird viel über wirtschaftliche Abhängigkeiten diskutiert. Welche Strategie verfolgt Wacker, um sich von einzelnen Regionen oder Ländern unabhängiger zu machen?
CH: Das Thema von wirtschaftlichen Abhängigkeiten wird durch den Ukrainekonflikt medial sehr in den Fokus gerückt. Doch für uns ist das kein neues Thema. Uns beschäftigt es schon viele Jahre. Wir haben bei WACKER schon immer auf ein möglichst breites Portfolio gesetzt. Sowohl auf Kunden – als auch auf Lieferantenseite. Schon allein deshalb, weil wir dadurch in einer besseren Verhandlungsposition sind und Schwankungen im Geschäft besser ausbalancieren können. Aus diesem Grund verfolgen wir schon seit vielen Jahren eine Strategie der Diversifizierung. Wir vermeiden es seit jeher bewusst und konsequent, uns von einzelnen Geschäftspartnern abhängig zu machen. Und das werden wir auch in Zukunft so beibehalten.
„Wir haben bei WACKER schon immer auf ein möglichst breites Portfolio gesetzt.“
Können Sie ein Beispiel nennen, wo es in der Vergangenheit Abhängigkeiten gegeben hat und wo WACKER das erfolgreich geändert hat?
CH: Ein Beispiel ist sicherlich Siliciummetall. Für uns ist das ein Schlüsselrohstoff, denn drei Viertel unserer Produkte basieren auf Silicium. Hier haben wir in den letzten Jahren sehr viel unternommen. Erstens haben wir uns rückwärtsintegriert. Im Jahr 2010 konnten wir in Norwegen eine Siliciumproduktion erwerben, die wir dann schrittweise immer weiter ausgebaut haben. Heute decken wir etwa ein Drittel des jährlichen Bedarfs durch unsere eigene Herstellung ab. Zweitens haben wir das Portfolio unserer Siliciumlieferanten über die letzten Jahre konsequent optimiert und verbreitert. WACKER ist einer der größten Abnehmer von Siliciummetall und wir kaufen es heute weltweit ein. Das hilft uns, die Potenziale der unterschiedlichen Regionen zu nutzen und Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten zu vermeiden.
Eine entscheidende Rolle in der Strategie von Wacker spielen höhere Investitionen. Welche Projekte haben dabei aus Ihrer Sicht die größte Bedeutung?
CH: Der Fokus unserer Wachstumsziele liegt klar auf organischem Wachstum aus eigener Kraft. Und das bedeutet: Wir brauchen zusätzliche Produktionskapazitäten. Das gilt für alle Geschäftsbereiche und das gilt weltweit. Vor allem in den Regionen außerhalb Europas sehen wir große Wachstumschancen. Deswegen werden wir dort verstärkt investieren, in Asien, aber auch in Amerika. Silicone sind hier ein gutes Beispiel. Wir wollen in den USA in diesem Geschäft die Nummer 2 werden. Und das bedeutet: Wir werden dort verstärkt in Produktionskapazitäten investieren, um unsere Kunden vor Ort noch besser bedienen zu können.
Die Konzernstrategie bildet die verbindende Klammer zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen. Wie sehen die Pläne in den einzelnen Bereichen aus?
CH: Im Chemiegeschäft, also bei den Siliconen und den Polymeren, haben wir uns vorgenommen, mehr als doppelt so viel pro Jahr zu investieren wie in der Vergangenheit. Ein wichtiger Eckpunkt unserer Strategie ist hier der klare Fokus auf margenstarke Spezialprodukte. Und auf regionale Expansion, wie ich gerade schon erläutert habe – Stichwort Asien. Gerade in dieser Region sehen wir große Chancen. Nicht nur für unser Chemiegeschäft, sondern auch und gerade bei besonders hochwertigem Polysilicium, wo wir schon jetzt weltweiter Marktführer sind – also ultrareines Material für monokristalline Solarzellen mit höchsten Wirkungsgraden, besonders aber für Halbleiteranwendungen. Speziell bei Polysilicium für die Halbleiterindustrie werden wir weiter investieren, um unsere Kunden weltweit auch in Zukunft mit dem besten Material zu versorgen, das am Markt verfügbar ist.
Schließlich noch WACKER BIOSOLUTIONS, unser heute jüngster Geschäftsbereich, der aber über hervorragendes Wachstumspotenzial verfügt. Hier ist unser Ziel, bis 2030 einen Jahresumsatz von 1 Milliarde Euro zu erreichen. Dazu werden wir verstärkt in den weiteren Ausbau unserer bestehenden Kapazitäten investieren.
1 Milliarde Euro Umsatz bei WACKER BIOSOLUTIONS ist ein anspruchsvolles Ziel. Dazu müssen Sie den heutigen Erlös in den kommenden acht Jahren verdreifachen. Welche Rolle spielen dabei Zukäufe?
CH: Es stimmt, „1 Milliarde aus Bio“, wie wir dieses Ziel intern nennen, ist sicherlich ambitioniert. Wir glauben aber fest daran. Erstens, weil wir in diesem Segment sehr viele Chancen sehen. Und zweitens, weil wir uns hier in den letzten Jahren sehr gut entwickelt haben.
Das zusätzliche Wachstum in diesem Segment basiert auf drei Säulen. Die erste Säule ist der Ausbau unserer bestehenden Fähigkeiten und Kapazitäten – sowohl bei Biopharmazeutika als auch bei Inhaltsstoffen für Nahrungsergänzungsmittel. Wir wollen dazu die Standorte Amsterdam, Halle, Jena und Eddyville in den USA erweitern – und zwar alle vier gleichzeitig.
Die zweite Säule sind Innovationen. WACKER BIOSOLUTIONS beschäftigt sich intensiv damit, neue Produkte zu entwickeln. Genauso wichtig sind für uns auch Forschungsprojekte, die dann im zweiten Schritt in die Produktion und die Vermarktung kommen.
Und die dritte Säule, die eine wichtige Rolle spielt, sind Kooperationen. Hier werden wir in den nächsten Jahren einiges sehen. Und wir werden uns auch damit beschäftigen, weitere Firmen zu akquirieren und so unsere Fähigkeiten, aber auch unsere Produktionsstandorte weiter auszubauen.
Es ist dieser Dreiklang aus der Erweiterung unserer bestehenden Fähigkeiten, aus der Entwicklung neuer und innovativer Produkte und aus Kooperationen und Akquisitionen, mit dem wir das Wachstum unseres Biotechnologiegeschäfts vorantreiben werden.
Haben Sie schon Unternehmen im Auge, die Sie für eine Akquisition als interessant empfinden?
CH: Wir haben seit Jahren eine fortlaufende Liste von Kandidaten, die wir attraktiv finden. Das ist also nichts Neues. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit Unternehmen, die als Zukauf für uns interessant sein könnten. Wichtig ist, dass deren Technologie zu unserem Portfolio passt. Auch die Unternehmenskultur, die Menschen, müssen zu uns passen. Das ist ein wichtiger Punkt für eine erfolgreiche Integration. Und schließlich muss natürlich der Preis angemessen sein. Jedenfalls: Sie dürfen gespannt sein. Wir haben eine Reihe von interessanten Kandidaten auf unserer Liste und wir werden in den nächsten Jahren, denke ich, die eine oder andere Akquisition sehen.
Nachhaltigkeit ist ein weiterer wichtiger Baustein Ihrer Strategie. Bis 2030 will WACKER seine CO2-Emissionen halbieren, bis 2045 soll das Unternehmen klimaneutral sein. Wo stehen Sie hier aktuell?
CH: Wir sind auf einem sehr guten Weg. Wir haben Ende 2021 diese absoluten Ziele ausgegeben, gerade für die Einsparung von CO2-Emissionen. Ich bin fest davon überzeugt, dass solche ambitionierten Ziele notwendig sind, um die Dynamik innerhalb des Unternehmens zu befeuern, damit diese Ziele auch erreicht werden. Und die Ergebnisse sehen wir schon jetzt. Es gibt jede Menge neuer Ideen, die entstanden sind, nachdem wir diese Ziele formuliert haben. Und es ist spannend, zu erleben, dass sehr viele Kolleginnen und Kollegen fest davon überzeugt sind, dass das der richtige Weg für uns ist.
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Wir haben einen klaren Fahrplan, wie wir unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen wollen. Ein großer Baustein ist unsere Siliciumproduktion in Norwegen. Wir haben dort mittlerweile komplett auf grüne Energie umgestellt. Und beim Kohlenstoff, den wir für den Herstellungsprozess brauchen, werden wir in den kommenden Jahren auf nachwachsende Rohstoffe setzen.
„Die hohen Energiepreise sind eine zentrale Herausforderung für die nächsten Jahre.“
Der dritte Schritt ist dann, das in der Produktion entstehende CO2 einzufangen. Um es zu speichern und vielleicht auch, um es als Rohstoff für chemische Produkte einzusetzen. Die Umstellung unserer Siliciumproduktion in Holla ist ein ganz großer Hebel in unserer Nachhaltigkeitsagenda, um unsere Ziele zu erreichen. Auch schon heute tragen zwei Drittel unserer Produkte dazu bei, die nachhaltigen Ziele unserer Kunden zu erreichen. Hier sehen wir weiter große Wachstumspotenziale für unser Geschäft.
WACKER hat zwei sehr erfolgreiche Geschäftsjahre hinter sich. Wo sehen Sie für 2023 die größten Herausforderungen?
CH: Ich glaube, wir haben in den letzten zwei Jahren große Herausforderungen gesehen und teilweise auch schon in den Jahren davor. Gerade in Europa beim Thema Energieversorgung. Wettbewerbsfähige Energiepreise sind für ein energieintensives Unternehmen wie WACKER von überragender Bedeutung. Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr viel getan, um unsere Energieeffizienz kontinuierlich zu verbessern. Und ich weiß, wir sind hier in vielen Bereichen weltweit führend.
Dennoch: Wir brauchen in unserer Energieversorgung international wettbewerbsfähige Preise. Höhere Kosten für Energie, Rohstoffe und Logistik haben uns allein im letzten Jahr etwa 1,3 Milliarden Euro im Ergebnis gekostet. Die gute Nachricht lautet: Wir konnten das ein gutes Stück kompensieren, durch mehr Effizienz und durch höhere Preise für unsere Produkte. Aber im Grundsatz steht hier nach wie vor die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland und Europa auf dem Spiel. Die hohen Energiepreise hierzulande sind eine zentrale Herausforderung für die nächsten Jahre. Das gilt für unser Unternehmen und für die Chemie, aber auch für viele andere Industrien in Europa.
Die zweite Herausforderung im laufenden Jahr ist das wirtschaftliche Umfeld. Wir sind gerade in Europa in einem rezessiven Umfeld und da kann man sich als einzelnes Unternehmen natürlich nicht komplett entkoppeln. Insofern ist eine Herausforderung für 2023 sicherlich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung – in Europa, in Amerika und natürlich auch in Asien.
Herr Hartel, Sie haben in der Vergangenheit gesagt, einer der Erfolgsfaktoren für WACKER sei eine hohe Widerstandsfähigkeit mit Blick auf die internationalen Entwicklungen – also Handelskonflikte, hohe Energiepreise, Störungen in den Lieferketten und steigende Zinsen, um nur einige Faktoren zu nennen. Wie widerstandsfähig ist das Unternehmen heute?
CH: Ich denke, dass wir Stand heute eine sehr stabile Aufstellung haben. Das sehen Sie zum einen an unseren Finanzkennzahlen. Wir haben einen hohen Netto-Cashflow erwirtschaftet. In den letzten drei Jahren waren das insgesamt etwa 2 Milliarden Euro. Wir sind schuldenfrei, weisen ein Nettofinanzvermögen von mehr als 400 Millionen Euro aus. Das gibt uns Flexibilität auf der finanziellen Seite und das ist selbstverständlich ein wichtiger Aspekt für die Resilienz unseres Unternehmens.
Wichtig für unsere Widerstandsfähigkeit sind aber noch drei weitere Punkte. Erstens, dass wir die Dinge tun, die wir gut können und wofür wir auch bekannt sind im Markt. Dass wir uns darauf aber nicht ausruhen, sondern uns ständig weiter verbessern und effizienter werden.
Jetzt zum zweiten Punkt und der ist ganz, ganz wichtig: die Nähe zu den Kunden. Das heißt, dass wir Produkte und Lösungen entwickeln und herstellen, die der Kunde braucht, die er auch morgen braucht. Dass wir den Kunden zuhören, viele Ressourcen in die Entwicklung stecken und gleichzeitig auch vor Ort sind, wo der Kunde seinen Bedarf hat. Das ist eine Strategie, die wir bei Wacker seit vielen Jahrzehnten verfolgen. Wir haben die Regionalisierung unserer Aktivitäten konsequent vorangetrieben, haben weltweit unsere technischen Zentren und unsere Produktionsstandorte ständig erweitert und ausgebaut. Ich glaube, das ist gerade in der heutigen Welt, die ein Stück weit im Umbruch ist, eine sehr gute und stabile Aufstellung: nicht an einem einzigen Ort zu sein, sondern an vielen verschiedenen Orten auf der Welt bei unseren Kunden.
„Wir wollen der Architekt unseres eigenen Erfolges sein.“
Und der dritte Punkt, den ich sehr wichtig und essenziell finde: Man muss an sich glauben, an die eigene Organisation. Ich bringe das mal auf eine griffige Formel: Mut, Geschwindigkeit und Zuversicht. Das ist es, was wir brauchen, um Erfolg zu haben. Wir bei WACKER haben diese Eigenschaften. Und wir tun das auf einem starken Fundament. Langfristig im Denken und verantwortlich im Handeln. Wir wollen der Architekt unseres eigenen Erfolges sein. Dazu braucht man Mut, Geschwindigkeit und Zuversicht. Und diesen Weg werden wir beharrlich weitergehen.