Defossilisierung
Erneuerbare Zutaten für chemische Prozesse
Kohle, Wasserstoff und Methanol sind wichtige Grundstoffe in der Chemie. Zutaten, ohne die Silicium und Silicone nicht hergestellt werden können. WACKER sucht Alternativen zum Einsatz fossiler Energieträger in den Prozessen. Holzkohle statt Steinkohle. Grüner statt grauer Wasserstoff. Gleichzeitig soll CO2 vom Abfallprodukt zum Rohstoff werden.
Im Aussehen unterscheiden sich Steinkohle und Holzkohle kaum voneinander. Es sind zwei schwarze Bruchstücke, deren Oberfläche silbrig glänzt. In ihrer Entstehung könnten die Unterschiede kaum größer sein. Steinkohle hat sich im Laufe vieler Millionen Jahre gebildet. Tief unter der Erde, unter hohem Druck und Hitze haben sich Pflanzenreste in Kohle verwandelt. Ein fossiler Energieträger. Holzkohle entsteht dagegen, wenn Holz unter Ausschluss von Luft unter hohen Temperaturen erhitzt wird. Ein erneuerbarer Energieträger.
„Wir wollen in der Siliciumproduktion Steinkohle durch Holzkohle ersetzen. Unser Ziel ist es, so bis zu 430.000 Tonnen CO2 pro Jahr einzusparen.“
Siliciummetall für Silicone und Polysilicium
Kohle ist ein wichtiger Rohstoff bei der Herstellung von Siliciummetall – auch bei WACKER. An seinem Standort im norwegischen Holla produziert das Unternehmen jährlich rund 70.000 Tonnen Siliciummetall – 25 bis 30 Prozent des Jahresbedarfs im Konzern. Von Holla aus wird der Rohstoff nach Burghausen und Nünchritz transportiert. Dort entstehen aus Siliciummetall Silicone und Polysilicium für die Solar- und Halbleiterindustrie.
Der Herstellungsprozess in Holla umfasst einen Reduktionsprozess, bei dem Quarz unter Zusatz von Kohle in sogenannten Lichtbogenöfen bei 2.000 Grad Celsius erhitzt wird. So entzieht man dem Siliciumdioxid im Quarz den Sauerstoff. Das Resultat ist Rohsilicium. Die Steinkohle, die bisher den Quarz zum Glühen bringt, soll nun durch Holzkohle oder andere Pflanzenstoffe ersetzt werden. „Unser Ziel ist es, so bis zu 430.000 Tonnen CO2 pro Jahr einzusparen“, sagt Silje Gridsvåg, die bei WACKER das Projekt „Holzkohle Holla“ leitet. 430.000 Tonnen – das entspricht den CO2-Emissionen, die entstehen, wenn rund 800.000 Autos vom bayerischen Burghausen nach Holla und wieder zurück fahren. Die Strecke ist (inklusive Fähre) 2.250 Kilometer lang, einfach.
Das Holla-Projekt befindet sich aktuell in der Validierungsphase. Silje Gridsvåg sondiert im Gespräch mit möglichen Partnern verschiedene Technologien. Es muss noch entschieden werden, ob die Holzkohle zugekauft wird oder ob WACKER künftig selbst Holzkohle herstellt. Fest steht, das Holz soll aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammen.
Im nächsten Schritt soll eine Pilotanlage in Holla in Betrieb gehen. Sie soll einige Tausend Tonnen Holzkohle pro Jahr produzieren – vorerst. „Danach wollen wir skalieren“, so Gridsvåg. Schritt für Schritt soll die Steinkohle durch Holzkohle ersetzt werden. Ist die komplette Produktion umgestellt, werden 430.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart.
„Der Einsatz von Biomasse gilt als CO2-neutral, weil nur das Klimagas beim Verbrennen freigesetzt wird, das die Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommen haben“, erklärt Gridsvåg. Ganz vermeiden lassen sich die CO2-Emissionen bei der Siliciumherstellung nicht. „Wir sprechen von ‚unvermeidbaren’ Emissionen, weil es keinen anderen relevanten Herstellungsprozess gibt“, sagt Gridsvåg. „Unvermeidbar heißt aber nicht, dass wir das CO2 nicht nutzen können.“
„Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen rund 10 Tonnen CO2. Grüner Wasserstoff ist dagegen CO2-neutral. Auch bei der Herstellung von grünem Methanol fällt kein CO2 an.“
CO2: vom Abfallprodukt zum Rohstoff
Im Moment ist das CO2, das bei Prozessen wie der Siliciumproduktion in Holla entsteht, ein Abfallprodukt. Die Emissionen werden in die Atmosphäre emittiert. WACKER will das ändern. „Es gibt verschiedene Ideen, wie wir CO2 künftig als Rohstoff einsetzen könnten“, sagt Peter Gigler. Er leitet ein weiteres Projekt bei WACKER, das die Defossilisierung der Produktion zum Ziel hat: RHYME Bavaria. Die Abkürzung steht für „Renewable Hydrogen and Methanol“. Das Projekt soll am bayerischen WACKER-Standort Burghausen umgesetzt werden. Deshalb „Bavaria“.
In Burghausen will WACKER eine Elektrolyseanlage mit einer Leistung von 20 Megawatt bauen. Mit Strom aus erneuerbaren Quellen soll hier Wasserstoff produziert werden. In einem zweiten Schritt soll dieser Wasserstoff unter Einsatz von CO2 aus bestehenden Prozessen in einer Syntheseanlage in Methanol umgewandelt werden. „So wird aus dem Abfallprodukt CO2 ein wertschöpfender Rohstoff“, sagt Gigler. Rund 20.000 Tonnen CO2 sollen so eingespart werden. „Dazu kommt: Im Vergleich dazu, wie Wasserstoff und Methanol konventionell hergestellt werden, lassen sich mit den neuen Verfahren die CO2-Emissionen um bis zu 100 Prozent senken.“
RHYME Bavaria
So können Produktionsprozesse auf Basis von grünem Wasserstoff aussehen.
Bisher kommt in den Produktionsprozessen bei WACKER konventioneller Wasserstoff zum Einsatz. Man nennt ihn auch grauen Wasserstoff. Grau bedeutet: Der Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Meist wird Erdgas unter Hitze zu Wasserstoff und CO2 umgewandelt. Ein bewährter Prozess, der allerdings Folgen für die Umwelt hat. „Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen rund 10 Tonnen CO2. Grüner Wasserstoff ist dagegen CO2-neutral. Auch bei der Herstellung von grünem Methanol fällt kein CO2 an“, sagt Gigler.
Sowohl Wasserstoff als auch Methanol sind wichtige Grundstoffe für eine breite Palette von chemischen Produkten: Silicone für Medizinprodukte, Polymerfasern für die Textilindustrie, hochreines Silicium für Photovoltaikanwendungen, Kunststoffe für Verpackungen, Leim, Farben und vieles mehr. „Grüner Wasserstoff und erneuerbares Methanol haben das Potenzial zur Defossilisierung der Industrie“, sagt Gigler. „Mit RHYME Bavaria wollen wir zeigen, dass das technisch möglich ist.“
Wirtschaftlich ist die Herstellung von erneuerbarem Wasserstoff und Methanol heute noch nicht. „Dafür brauchen wir große Mengen an erneuerbaren Energien zu bezahlbaren Preisen“, so Gigler. Bei 4 Cent pro Kilowattstunde liege die Grenze zur Wirtschaftlichkeit. WACKER hat für RHYME Bavaria eine Reihe von Förderanträgen eingereicht. Sollten die beantragten Mittel genehmigt werden, so könnten die Anlagen noch vor Ende des Jahres 2025 in Betrieb gehen.