Biomassenbilanzverfahren
Nachwachsende Rohstoffe mit Zukunft
WACKER bietet bereits heute Polymer- und Siliconprodukte an, die deutlich weniger fossile Rohstoffe zur Herstellung benötigen. Stattdessen werden Nebenprodukte aus der Holzindustrie genutzt oder aus Biomasse gewonnene Rohstoffe. Mit einem zertifizierten Verfahren lässt sich der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen in der Produktion bis zum Endprodukt lückenlos belegen.
Lange Zeit passte auf Chemieprodukte ein Zitat des antiken Staatsmanns Perikles: „Beurteilt sie nicht nach ihrer Herkunft, sondern nach ihrer Leistung.“ Selbstverständlich sprach der Politiker aus dem fünften Jahrhundert vor Christus damals von Menschen. Doch bei chemischen Stoffen blicken Endverbraucher und Industrie aus guten Gründen nicht mehr ausschließlich darauf, was sie im Alltag leisten. Angesichts von Ressourcenknappheit und Klimawandel achten Kunden inzwischen immer mehr darauf, aus welchen Quellen solche Produkte stammen und welche Inhaltsstoffe sie enthalten.
Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage unter Industriekunden des Geschäftsbereichs WACKER POLYMERS. 75 Prozent der Kunden in der Region Europa, dem Nahen Osten und Afrika geben an, dass das Thema Nachhaltigkeit für sie wichtig oder sogar sehr wichtig ist. Auch die Verwendung biobasierter Rohstoffe steht für viele der Befragten auf der Prioritätenliste ganz oben.
Doch wie lässt sich dieser Wunsch, auf erneuerbare Rohstoffe zu setzen, in der Praxis realisieren? Das scheinbar einfache Rezept, in den bestehenden Produktionsanlagen anstelle von Rohstoffen fossilen Ursprungs nachwachsende Rohstoffe zu verarbeiten, ist voller Fallstricke: Es setzt voraus, dass für jeden Rohstoff ein biobasiertes Gegenstück in ausreichender Menge und mit vergleichbarer Qualität zur Verfügung steht. Ein solcher Ansatz würde dazu führen, dass sich die Produktion erheblich verteuert. Ein biobasierter Rohstoff kostet meistens mehr als der erdölbasierte Ausgangsstoff. Angesichts der Tatsache, dass sich die Eigenschaften des Produkts ansonsten nicht verbessern, wären wohl nur wenige Kunden bereit, für ein Plus an Nachhaltigkeit deutlich mehr zu zahlen.
WACKER schlägt deshalb einen anderen Weg ein und verarbeitet neben petrochemischen Rohstoffen auch pflanzenbasierte Alternativen. Ein Beispiel ist die Essigsäure. Sie ist ein wichtiger chemischer Baustein für die Herstellung polymerer Bindemittel, die auf Vinylacetat-Ethylen-Copolymer basieren. Bisher stammte die Essigsäure für solche Produkte aus der Petrochemie. Doch es gibt Alternativen. Essigsäure, die in der Holzverarbeitung als Nebenprodukt anfällt, kann ebenso verwendet werden.
Biobasiertes Methanol ersetzt fossiles
Ähnliches gilt für Methanol, neben Silicium ein Schlüsselrohstoff bei der Silan- und Siliconsynthese. Bezog WACKER das dafür benötigte Methanol bisher aus fossilen Quellen, verwendet das Unternehmen jetzt immer öfter Methanol pflanzlicher Herkunft. Die Eigenschaften und die Weiterverarbeitung der Produkte ändern sich nicht. Stofflich sind Eco- und Standardprodukte absolut identisch.
Die eingesetzte Menge biobasierter Rohstoffe legt fest, welche Produkte als ressourcenschonende Erzeugnisse gekennzeichnet werden dürfen. „Das Massenbilanzverfahren stellt also sicher, dass die Menge der Eco-Produkte mit dem Verhältnis der eingesetzten nachwachsenden Rohstoffe korrespondiert“, erläutert Dr. Peter Gigler, der das Thema Nachhaltigkeit auf Konzernebene verantwortet. „Wer ein Eco-Produkt bei uns erwirbt, kann sicher sein, dass eine entsprechende Menge des nachwachsenden Rohstoffs in der Produktion auch verwendet wird. Unsere Berechnungen werden jährlich in einem Audit durch externe Gutachter geprüft.“
Das Konzept der Biomassenbilanz ist inzwischen bei 68 Produkten im Einsatz. WACKER POLYMERS bietet beispielsweise mehr als 20 VINNAPAS® Typen in der Eco-Variante an: polymere Bindemittel aus Vinylacetat-Ethylen-Copolymer, die beispielsweise zur Vergütung von Mörteln und Fliesenklebern oder zur Formulierung von Klebstoffen, Wandfarben und Selbstverlaufsmassen eingesetzt werden.
Solche VAE-Copolymere werden im Wesentlichen aus Vinylacetat und Ethylen hergestellt. Für VINNAPAS® eco-Produkte verwendet der Geschäftsbereich Vinylacetat aus Essigsäure, das in der Holzverarbeitung und Zellstoffherstellung anfällt. Das Holz stammt ausschließlich aus Wäldern, die gemäß Zertifikat nachhaltig bewirtschaftet werden. Auch für Ethylen, den zweiten wichtigen VAE-Rohstoff, prüft der Geschäftsbereich Alternativen. „Wir suchen stetig nach weiteren biobasierten Rohstoffen und sind bestrebt unsere Rohstoffbasis für die Biomassenbilanz zu erweitern“, sagt Linn Mehnert, Leiterin Nachhaltigkeit, Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsschutz bei WACKER POLYMERS.
Bei Kunden stößt die Eco-Offensive auf reges Interesse. „Die Nachfrage nach VINNAPAS® eco steigt ständig“, sagt Dr. Christine Wagner, verantwortlich für das Marketing in der Region EMEA bei WACKER POLYMERS. Das finnische Traditionsunternehmen Kiilto, VINNAPAS® eco-Käufer der ersten Stunde, bietet beispielsweise eine eigene Klebstoffreihe unter dem Namen Kiilto Pro Pack eco für Kunden aus der Verpackungs- und Papierindustrie. Kiiltos Business Area Director Tomi Takala ist vom Eco-Konzept überzeugt: „Unsere Aktivitäten sind von einem besonders starken Willen zur Entwicklung umweltfreundlicher Lösungen geprägt. VINNAPAS® eco hilft uns, unserem Anspruch als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gerecht zu werden.“
Eco-Produkte sind gefragt
Auch der Geschäftsbereich WACKER SILICONES verzeichnet ein wachsendes Geschäft mit Eco-Produkten. Traditionsmarken wie BELSIL® und ELASTOSIL® sind seit längerem als „eco“-Variante erhältlich. „Namhafte Kosmetikhersteller setzen BELSIL® eco bereits ein. Inzwischen bieten wir 13 Eco-Produkte an, die unter anderem Lippenstift kussecht machen und für seidenweiches und kämmbares Haar sorgen“, sagt Dr. Claudius Schwarzwälder, globaler Segmentmanager für Consumer-Care-Produkte.
Ein starkes Interesse von Key-Account-Kunden registriert auch Axel Schmidt. Er ist für den Bereich Sealants & Adhesives und damit für die Fugendichtstoffe der Reihe ELASTOSIL® eco verantwortlich. WACKER SILICONES produziert zwar Fugendichtstoffe und füllt diese auch in gebrauchsfertige Kartuschen ab. Den Vertrieb übernehmen aber die Kunden. „Wir haben bereits erste Abnehmer, die unser ELASTOSIL® eco-Label in das Design ihrer Kartuschen integriert haben“, sagt der Manager nicht ohne Stolz. Eigenheimbesitzer und professionelle Anwender in ganz Europa könnten nun ressourcenschonend hergestellte Silicondichtstoffe für jede nur denkbare Bau- und Renovierungsmaßnahme verwenden.
In anderen Branchen steigt die Nachfrage nach Eco-Siliconen ebenfalls. Und so ist es nur konsequent, dass der Geschäftsbereich sein Produktportfolio laufend erweitert. Inzwischen sind siliconbasierte Pflege- und Glanzmittel (LIOSIL®), Entschäumer (PULPSIL®, SILFOAM®), Trennbeschichtungen (DEHESIVE®, CRA®) und Textilweichmacher (WETSOFT®) fossilfrei erhältlich. „Zur Herstellung von einem Kilogramm Siliconöl der Marke BELSIL® eco DM 350 werden bis zu 0,89 Kilogramm Biomethanol eingesetzt, und zwar als Ersatz für das fossile Methanol und für andere fossil basierte Rohstoffe“, rechnet Erich Schaffer, verantwortlich für Nachhaltigkeit bei WACKER SILICONES, vor.
In Sachen Nachhaltigkeit gelten auch hier allerhöchste Standards: Verwendet wird ausschließlich zertifiziertes Biomethanol aus Stroh, Grasschnitt oder Zuckerrübenresten – also Biomasse, die für die Lebensmittelproduktion nicht verwendet werden kann. Der eingesetzte Grasschnitt etwa stammt vom Grünstreifen am Autobahnrand, der nicht an Tiere verfüttert werden darf.
Die Eco-Initiative von WACKER zeigt, dass Hochleistungsprodukte auf Basis nachwachsender Rohstoffe tatsächlich möglich sind. „Die Zeit ist reif. Wir spüren bei vielen Kunden und Endverbrauchern eine große Bereitschaft, auf nachhaltig erzeugte Produkte umzusteigen“, sagt Peter Gigler. Noch stehe man ganz am Anfang, aber der Trend sei klar. „Mit unserem Massenbilanzansatz starten wir eine Transformation zur Nutzung von biobasierten Rohstoffen. Wir werden die Kunden mitnehmen und unser Angebot laufend der steigenden Nachfrage anpassen“, sagt der Nachhaltigkeitsexperte. „Und eines Tages werden wir sogar Anlagen bauen und betreiben, die ausschließlich alternative Rohstoffe verarbeiten.“