Energieversorgung
Ein Mix im Wandel
WACKER hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 seinen spezifischen Energieverbrauch gegenüber dem Jahr 2007 zu halbieren – eine Herausforderung. Stefan Henn, verantwortlich für die Bereiche Energie und Versorgung im Werk Burghausen, arbeitet mit seinem Team bereits an Konzepten, wie sich diese Zukunftsvision realisieren lässt.
Das Herz des WACKER-Konzerns ist 2,6 Quadratkilometer groß und schlägt in Burghausen, einer Kleinstadt im Südosten Deutschlands. Seit mehr als 100 Jahren stellt der an der deutsch-österreichischen Grenze gelegene Standort einen großen Teil der Produkte des Konzerns her. Die Dimensionen sind gewaltig: Produktionsanlagen, so weit das Auge reicht. Betriebe und Rohrleitungen verteilen sich auf einer Fläche, die größer ist als das Fürstentum Monaco. Entsprechend hoch ist der Energiebedarf des größten Produktionsstandorts im Konzernverbund: Allein der Bedarf an elektrischem Strom, neben Prozessdampf der wichtigste Energieträger für die Produktion, entspricht etwa 0,5 Prozent des deutschen Stromverbrauchs.
Wie sich der Energiemix in Zukunft zusammensetzen wird, und das möglichst klimafreundlich, ist – grob gesagt – die Mammutaufgabe von Stefan Henn und seinem Team. Als Leiter des Bereichs Energie und Versorgung am Standort Burghausen beschäftigt er sich mit einer der größten Herausforderungen, die die deutsche Chemieindustrie derzeit bewegt: die Umstellung auf eine möglichst klimafreundliche Energieversorgung.
Eine solche Aufgabe erfordert neben hohem Engagement vor allem geistige Beweglichkeit und viel Fleißarbeit. „Mit dem Energiekonzept 2030 befassen wir uns derzeit intensiv“, erklärt Henn, der bereits seit 26 Jahren für den Chemiekonzern tätig ist. Als er vor gut einem Jahr zum Leiter der Energieversorgung am Standort Burghausen ernannt wurde, ging er das Zukunftskonzept mit Hochdruck an. „Wir müssen jetzt anfangen, uns einen Überblick zu verschaffen, um schon bald Lösungen parat zu haben“, sagt der Verfahrenstechniker.
Im Juli 2021 startete das Energieprojekt. Bis 2030 soll, so steht es in den Zielen des Konzerns, der Ausstoß an Treibhausgasen, bezogen auf das Jahr 2020, um die Hälfte sinken. Ähnliches gilt für den spezifischen Energieverbrauch: Verglichen mit dem Jahr 2007 soll er ebenfalls um 50 Prozent abnehmen. Wie sich das und in Zukunft noch mehr erreichen lässt, haben auch Henn und sein Projektteam in der Hand: Energieexperten, Planungsingenieure, Rohstoffeinkäufer und Controlling-Mitarbeiter, alles in allem 20 Kollegen arbeiten derzeit an unterschiedlichsten Konzepten. „Wir prüfen alle nur denkbaren Varianten, wie sich Kohlendioxidemissionen bei der Energieversorgung des Standorts reduzieren lassen.“
Grüner Strom aus Wasserkraft
Eine Reise in die Vergangenheit zeigt: Nachhaltige Energieversorgung spielte seit den Anfängen des Werks eine wichtige Rolle. Ausschlaggebend für die Standortwahl vor mehr als 100 Jahren war die Wasserkraft. Nur so konnten die enormen Strommengen für die energieintensiven elektrochemischen Prozesse bereitgestellt werden.
Dazu ließ der Firmengründer einen 16 Kilometer langen Kanal errichten, der das Wasser der Alz zu einem der größten privat betriebenen Industriewasserkraftwerke Deutschlands führt: die Alzwerke. Seit der Inbetriebnahme 1922 versorgt das WACKER-eigene Kraftwerk die Produktion mit grünem Strom aus Wasserkraft. „Für WACKER war die regenerative Energieerzeugung ein ganz wichtiger Standortfaktor“, erklärt Henn. „Anfangs konnten die Alzwerke das Chemieunternehmen zu 100 Prozent mit Strom versorgen und darüber hinaus auch noch regionale Haushalte beliefern.“
Im Jahresmittel produzieren die Alzwerke 265 Millionen Kilowattstunden elektrische Energie. Das würde ausreichen, um 90.000 Haushalte mit Strom zu versorgen, eine Stadt, so groß wie Flensburg. Doch der Alzkanal hat noch eine weitere Bedeutung für den Standort: Die Trasse, die das Werk in ostwestlicher Richtung durchquert, stellt auch Kühlwasser bereit. „Es gibt hier historisch bedingt sehr viele Anlagen, die mit einer Durchlaufkühlung betrieben werden“, erklärt Henn. „Zudem speist der Alzkanal unsere Notstromversorgung. Sie läuft immer mit. Das bedeutet, wir brauchen keine großen Dieselgeneratoren, die im Fall der Fälle erst anspringen müssen, bevor sie Strom liefern.“
Energiemix im Wandel
Die Alzwerke liefern enorme Energiemengen, doch ihre Kapazität ist begrenzt. Die Wassermengen, die der Alz entnommenen werden, lassen sich nicht beliebig steigern. Nicht verändern lässt sich auch das Transportvolumen des Kanals. Was sich jedoch änderte, war der Energiebedarf des Standorts. Bereits in den 1940er Jahren lagen Stromproduktion und Verbrauch nahezu gleichauf. Modernisierungsmaßnahmen und leistungsfähigere Turbinen brachten in den 1950er Jahren kurzzeitig eine Entlastung. Aber schon damals war klar: Das Kraftwerk wird den steigenden Energiebedarf des Werks auf Dauer nicht stillen können.
Heute liegt der Energieanteil, den die Alzwerke für Burghausen bereitstellen, bei knapp zehn Prozent. Rund 55 Prozent des Stroms kauft WACKER von externen Stromanbietern zu. Die restlichen 35 Prozent werden in einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage auf dem Werkgelände produziert. Erdgas wird dort in Strom und Prozessdampf umgewandelt. Der Dampf liefert wiederum die Energie für die chemischen Prozesse in der Produktion.
Das Gas- und Dampfkraftwerk in Burghausen gehört zu den modernsten seiner Art. Der Brennstoffwirkungsgrad beträgt 90 Prozent. Das bedeutet: Die im Erdgas enthaltene Energie wird zu 90 Prozent in Strom und Wärme umgesetzt. Wie viel produziert wird, richtet sich nach dem Dampfbedarf in den Betrieben. „Generell sind die Anlagen in Burghausen wärmegeführt“, erklärt Henn. „Das bedeutet, wir produzieren nur so viel Strom, wie wir Prozessdampf im Werk benötigen.“
Entscheidend für das Energiekonzept des Standorts ist die optimale Nutzung und Verwertung von Wärmeenergie und Prozessdampf in der Produktion. WACKER hat deshalb viel in die Wärmerückgewinnung investiert – mit Erfolg.
Zum Beispiel in der Polysilicium-Herstellung. Die Abscheidung von hochreinem Silicium für die Solar- und Halbleiterindustrie ist besonders energieintensiv. Der Prozess findet in Glockenreaktoren statt, die auf 1.000 Grad Celsius erhitzt werden. Dank eines ausgeklügelten Systems wird ein Großteil der dabei entstehenden Wärme zurückgewonnen und in Form von Dampf wieder ins Werksnetz eingespeist.
60 Prozent Dampf wird zurückgewonnen
Durch solche und andere Maßnahmen konnte der Standort Jahr für Jahr mehr Energie aus der Produktion in den Wärmeverbund zurückführen. Kamen 2011 etwa 40 Prozent des Dampfbedarfs aus der Wärmerückgewinnung, sind es heute bereits 60 Prozent. Und das ist noch nicht alles. 2050, schätzt Henn, wird das Werk möglicherweise nur noch 20 Prozent des benötigten Dampfs produzieren. Den weitaus größeren Anteil – 80 Prozent oder mehr – liefert dann die Wärmerückgewinnung.
„Mit jedem Kilogramm Dampf, das der Wärmeverbund zusätzlich einspart, sinkt der Erdgasverbrauch für die Dampferzeugung und damit auch der Ausstoß an klimaschädlichem CO2“, sagt Henn. WACKER habe seine Wurzeln in der energieintensiven Elektrochemie. Optimierungspotenziale zu suchen und zu heben sei schon immer wichtig gewesen. „Effizient mit Energie umzugehen, sei es mit elektrischem Strom, sei es mit Wärme, liegt gewissermaßen in der DNA von WACKER.“
Alternative Energiequellen
In Zukunft werden die Emissionen weiter massiv sinken, ist Henn überzeugt. „Wenn wir als Zukunftsvision eine CO2-neutrale Produktion am Standort Burghausen anstreben, müssen wir schon heute sämtliche Optionen ausloten.“ Henns Team prüft beispielsweise eine Umstellung der Wärmeversorgung durch die Verwendung von Wärmepumpen. Untersucht wird auch die Möglichkeit, CO2, das bei der Dampferzeugung entsteht, abzuscheiden und stofflich zu nutzen. Künftig ausschließlich grünen Strom von externen Energieanbietern zu beziehen, ist ebenfalls eine Option, welche die Energieexperten untersuchen. Denkverbote, sagt Henn, gebe es nicht: „Wir haben das Klimagas CO2 auf dem Radar und bewerten wirklich jede Möglichkeit, den Ausstoß zu verringern.“
Was ist technologisch machbar, was wirtschaftlich sinnvoll? Welche Energiequellen sind nachhaltig nutzbar? Und welche Investitionen müssen gemacht werden, um klimaneutral zu produzieren? Stefan Henn und sein Team setzen sich derzeit intensiv mit solchen Fragen auseinander, um tragfähige Szenarien für die Zukunft zu entwerfen. Vom Management erhalten sie viel Zuspruch und Rückhalt: „Man spürt einfach, dass das Energiethema für uns als Chemieunternehmen immer wichtiger wird“, sagt Henn.
Die Herausforderungen sind jedoch gewaltig – nicht nur für den Standort Burghausen. Auch Energieversorger und Unternehmen in der Region arbeiten an Lösungen für eine klimaneutrale Produktion. WACKER engagiert sich deshalb in Industrie- und Forschungsprojekten, die Szenarien entwickeln, wie der Bedarf an grünem Strom regional gestemmt werden kann.
Das vor kurzem initiierte Projekt „Trans4In – Energietransformation im Chemiedreieck Bayern“, eine Initiative der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE), befasst sich beispielsweise mit möglichen Transformationspfaden zur CO2-Neutralität im Chemiedreieck Bayern. Ausgangspunkt der Überlegungen sind der prognostizierte Energieverbrauch der Industrie und welche Auswirkungen der Bedarf an grünem Strom für die Energieerzeugung und den Energietransport in der Region haben wird.
Vieles ist noch zu klären – neben technologischen Fragestellungen auch die politischen Rahmenbedingungen für eine solche Transformation. Eines, zeigt sich Stefan Henn überzeugt, sei aber sicher: „Als einer der größten Stromabnehmer im bayerischen Chemiedreieck wird der WACKER-Standort Burghausen seinen Beitrag zur Entwicklung tragfähiger regionaler Lösungen auf dem Weg hin zur Klimaneutralität leisten.“