iC4 - Strom auf Vorrat
In den letzten drei Jahren hat WACKER gemeinsam mit anderen namhaften Unternehmen und Forschungseinrichtungen an einer großen Aufgabe gearbeitet: der Speicherung erneuerbar erzeugter Energie. Die Forscher wollen überschüssigen Ökostrom in Methangas umwandeln. So ließe sich die Energie problemlos im Erdgasnetz oder in Gaskavernen speichern. Helfen soll dabei das Klimagas Kohlendioxid.
Energie aus Wind, Sonne oder Biomasse speichern.
Noch nie haben deutsche Windkraftanlagen so viel Strom produziert wie im stürmischen Dezember 2014. Denn 14 mächtige Tiefdruckgebiete – von Alexandra bis Zoe – und zahlreiche neue Offshore-Windparks hatten dafür gesorgt, dass 8,9 Milliarden Kilowattstunden in das deutsche Stromnetz eingespeist wurden. Damit lag die Windenergie sogar vor der Kernkraft.
Was passiert, wenn die Sonne nicht scheint, der Wind nicht weht?
Doch was passiert, wenn die Sonne nicht scheint, der Wind nicht weht? Die schwankende Ökostrom-Ausbeute ist eines der ungelösten Probleme der Energiewende. Experten suchen händeringend nach einer Lösung, mit der sich die Energie aus Wind, Sonne oder Biomasse speichern lässt. So wie das Eichhörnchen seine Wintervorräte anlegt, müsste sich auch Solarenergie für die dunkle Jahreszeit aufbewahren lassen. Schließlich soll der Strom jederzeit und überall in Deutschland aus der Steckdose kommen. Egal, ob die Sonne scheint oder nicht.
Dr. Alexander Zipp will dieses Problem lösen. „Ich war schon immer etwas ökologisch eingestellt“, sagt er leise. Der junge Chemiker hat sich in den letzten Jahren bei WACKER begeistert für das iC4-Projekt eingesetzt, in dem Wissenschaft und Industrie gemeinsam an der Umwandlung von Ökostrom in künstliches Erdgas forschen (siehe Kasten). „Das Problem der Speicherung von Energie ist eklatant“, sagt Alexander Zipp und blickt ernst durch seine Schutzbrille. „Umso spannender ist es, an der Lösung mitzuarbeiten.“
Die Oberfläche von einem Kilogramm des Trägermaterials fast so groß ist wie 30 Fußballfelder.
Katalysatoren
Katalysatoren machen chemische Reaktionen möglich und beschleunigen sie. Für den Methanisierungsprozess wird der Katalysatorträger aus pyrogener Kieselsäure HDK® mit Metallpartikeln imprägniert und sorgt dann dafür, dass Kohlendioxid und Wasserstoff sich möglichst effizient zu Methangas verbinden. Der Katalysator muss stabil, unempfindlich gegen Verunreinigungen und hitzebeständig sein.
Weil die chemische Reaktion nur an der katalytisch aktiven Oberfläche des Katalysators stattfindet, braucht er außerdem eine möglichst große Oberfläche. WACKER-Forscher Dr. Alexander Zipp hat ausgerechnet, dass die Oberfläche von einem Kilogramm des Trägermaterials fast so groß ist wie 30 Fußballfelder.
Chancen für die chemische Speicherung von Energie
Wie lässt sich überschüssige Energie aus Wind und Sonne langfristig speichern? Es gibt verschiedenste Ansätze, „aber nur das bestehende Gasnetz und die Gasspeicher machen für die saisonale Speicherung großer Mengen von Energie wirklich Sinn“, sagt Chemie-Professor Dr. Dr. Bernhard Rieger von der TU München. Batterien könnten große Mengen von Strom höchstens kurzfristig speichern. Neue Pumpspeicherkraftwerke seien in der Bevölkerung unbeliebt. Und riesige Wasserstofftanks ließen sich nur mit viel Aufwand neu bauen.
Daher haben sich die iC4-Projektpartner für die chemische Speicherung entschieden. In einem ersten Schritt wird dabei Wasser mit Hilfe von überschüssigem Ökostrom in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff getrennt. Elektrolyse-Anlagen dafür gibt es bereits im industriellen Maßstab. Anschließend wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid beispielsweise aus Kohlekraftwerken, Zementwerken oder Biogasanlagen in Methan umgewandelt. Dieser Schritt ist wichtig, weil sich Methan, anders als Wasserstoff, problemlos in großen Mengen speichern lässt. Es ist zu über 80 Prozent der Hauptbestandteil von Erdgas und kann deshalb ins Gasnetz oder in einen der vielen unterirdischen Gasspeicher geleitet werden.
Wie lässt sich
überschüssige Energie
aus Wind und Sonne
langfristig speichern?
„Es gibt verschiedenste Ansätze, aber
nur das bestehende Gasnetz und die
Gasspeicher machen für die saisonale
Speicherung großer Mengen von
Energie wirklich Sinn.“
Professor Dr. Dr. Bernhard Rieger
Leiter des WACKER-Lehrstuhls für Makromolekulare Chemie und Direktor des Instituts für Siliciumchemie der TU München
Die chemischen Grundlagen dieser Power-to-Gas-Technologie sind lange bekannt. Nur reagiert das Kohlendioxid so träge, dass lange Zeit niemand ernsthaft darüber nachdachte, aus der Methanisierung ein Geschäft zu machen. Der Prozess war nicht wirtschaftlich. Jetzt haben sich die Forscher im iC4-Verbund mit viel Herzblut daran gemacht, wesentliche Komponenten für das Verfahren zu optimieren, um die Methanisierung kostengünstiger zu machen.
„Unser Ziel war es, eine Membran zu entwickeln, die Gase besser trennt als alle anderen Membranverfahren“
Dr. Christian Anger
Chemiker in der Zentralen
Forschung von WACKER
Dr. Christian Anger ist einer der jungen WACKER-Mitarbeiter, die im globalen Wettbewerb um die Energiespeicher der Zukunft mitmischen. Der 30-Jährige arbeitet in einem modernen Neubau auf dem Gelände der Zentralen Forschung von WACKER, dem Consortium im Münchner Stadtteil Obersendling. Hier arbeiten über 160 Mitarbeiter an den Themen der Zukunft – zum Beispiel Batteriekomponenten, bessere Verfahren für Photovoltaikmaterialien und leistungsfähigere Materialien für die Windkraft. Und Materialien für Energiespeicher.
Anger und sein Team haben im Rahmen des iC4-Projekts eine Membran entwickelt, die Kohlendioxid aus Abgasen abtrennen soll. So kann das Treibhausgas C2, das in Kraftwerken, Zementfabriken oder Biogasanlagen entsteht, wiederverwertet werden. „Unser Ziel war es, eine Membran zu entwickeln, die Gase besser trennt als alle anderen Membranverfahren“, sagt Anger. Noch wird die Membran beim Kooperationspartner Linde auf Herz und Nieren geprüft. „Wir wissen schon, dass unsere Siliconmaterialien sich ziemlich gut für die Trägerstruktur der Membran eignen“, sagt Fachbereichsleiter Dr. Jürgen Stohrer. „Aber ob und wo daraus einmal Produkte entstehen, lässt sich noch nicht sagen.“
Katalysatoren sind das Herzstück des Prozesses
Ein paar Türen weiter schüttelt Alexander Zipp ein Schraubglas voller keramischer Hohlzylinder. Von der langen Fensterfront seines Labors treffen Sonnenstrahlen auf das Glas. „Hierin könnte der Schlüssel zur wirtschaftlichen Methanherstellung liegen“, sagt der 39-Jährige. Die kleinen weißen Hohlzylinder aus pyrogener Kieselsäure HDK® sind der Träger, aus dem Katalysatoren für die Umwandlung von Wasserstoff und Kohlendioxid in Methan hergestellt werden.
Diese kleinen Katalysatoren müssen einiges können: Sie sollen die Ausgangsstoffe möglichst vollständig in Methan umwandeln. Daneben dürfen ihnen Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen und Verunreinigungen im Kohlendioxid nichts ausmachen. „Das CO2 aus Kraftwerken ist nicht rein, sondern enthält Stoffe, die dem Katalysator zusetzen“, erklärt Jürgen Stohrer. Außerdem müssen die Katalysatoren über Jahre gut funktionieren. „Eine Katalysatorfüllung für einen Produktionsreaktor kostet immerhin mehrere Millionen Euro“, erklärt Alexander Zipp.
Auch wenn Zipp und sein Team sich nur um einen Teilaspekt des iC4-Projekts kümmern, so ist es doch ein entscheidender Part. „Maßgeschneiderte Katalysatoren und Katalysatorträger sind das Herzstück des Prozesses“, sagt Jürgen Stohrer, der die iC4-Arbeiten bei WACKER mit wichtigen Projektpartnern koordiniert. Das Unternehmen kann hier mit jahrzehntelangem Wissen punkten, schließlich stellt der Chemiekonzern seit 1969 pyrogene Kieselsäure her.
„Die Vermeidung von CO2 und die Stromspeicherung sind strategische Zukunftsthemen.”
Dr. Arndt Schlosser
Leiter FE-Prozesse
Könnte es also sein, dass der Erfolg der Energiewende tatsächlich von diesen unscheinbaren Katalysatorträgern abhängt? Professor Bernhard Rieger hält das für durchaus möglich. „WACKER hat völlig neue Trägersysteme für die Katalysatoren entwickelt“, sagt der renommierte Wissenschaftler, der das iC4-Projekt leitet. „Damit haben wir wesentliche Fortschritte für diese Art der Stromspeicherung gemacht.“ Für den Chemiker ist iC4 eines seiner erfolgreichsten Projekte. „Hier sind die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt er.
Das hört Dr. Arndt Schlosser gerne. Er ist bei WACKER zuständig für das Innovationsmanagement und kümmert sich um Forschungskooperationen mit hochkarätigen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt. Für ihn passt das iC4-Projekt sehr gut zur Konzernstrategie, schließlich ist Energie einer der entscheidenden Wachstumsmärkte für WACKER. „Die Vermeidung von CO2 und die Stromspeicherung sind strategische Zukunftsthemen“, erklärt er. „In den nächsten Jahren wird da noch niemand ein großes Geschäft machen“, sagt Schlosser. „Aber wer bei diesen Themen in Zukunft mitspielen will, muss früh einsteigen.“
„Wir glauben an das, was wir hier machen!"
Im Innovations-Portfolio von WACKER ist iC4 eines der langfristigen Themen. „Hier haben wir die Freiheit, nicht nur auf die nächsten Quartalszahlen zu schauen“, erzählt Forschungsmanager Schlosser. Für den besonnenen Chemiker ist das eine wichtige Voraussetzung für nachhaltiges Handeln. Solche Projekte seien ja nicht nur gut für die Umwelt. „Wenn wir langfristige Geschäftsmodelle suchen, mit denen wir auch in Zukunft unser Geld verdienen und unsere Mitarbeiter beschäftigen können, ist das ja auch durchaus nachhaltig “, sagt Schlosser. Und mit einem Lächeln schiebt er hinterher: „Immerhin ist WACKER so 100 Jahre alt geworden.“
Sein Kollege Jürgen Stohrer ist im Normalfall kein Mensch, der zum Pathos neigt. Er ist Naturwissenschaftler. Doch es ist ihm anzusehen, dass das Engagement der WACKER-Forscher in den vergangenen Jahren ihn beeindruckt. „Unsere jungen Projektleiter und ihre Mitarbeiter haben sich da sehr reingehängt. Das ist eine sehr emotionale Sache“, sagt er. „Wir glauben ja an das, was wir hier machen.“
Auch für ihn ist das iC4-Projekt etwas Besonderes. „Beim Klimaschutz muss etwas passieren, das ist jedem von uns klar“, sagt er energisch. Die Arbeit an der chemischen Speicherung hat sich gelohnt, sagt er. „Wir wissen jetzt, wie es funktioniert und wir wissen, dass es funktioniert.“ Wann und ob daraus allerdings ein Geschäft wird, so Stohrer, hängt von der Politik und von den Energiepreisen ab. TU-Professor Bernhard Rieger sieht durchaus Potenzial. Er sagt: „2020 könnten die Pilotanlagen laufen. Und 2030 muss die Technologie etabliert sein.“
iC4
2050 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen. Das ist das Ziel der Bundesregierung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat daher in den letzten Jahren viele Forschungsvorhaben unterstützt, die die Energiewende voranbringen sollen. Eines der Leuchtturm-Projekte ist das von 2012 bis 2015 mit 6,3 Mio. € geförderte iC4-Projekt: Überschüssiger Ökostrom soll mit Hilfe von Kohlendioxid in Methangas umgewandelt und im Gasnetz gespeichert werden.
iC4 steht dabei für Integrated Carbon Capture, Conversion and Cycling. Neben acht Lehrstühlen der TU München und dem Fraunhofer Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik sind die Chemieunternehmen WACKER und Clariant sowie E.ON, Siemens, Linde und die Reaktorspezialisten der zu MAN gehörenden Deggendorfer Werft mit an Bord. WACKER leitet zwei der vier Teilprojekte.
Weitere Informationen: ic4.tum.de
Ziel 2050
des Stroms aus erneuerbaren Energien