Fit auf Schicht

Im Sommer 2013 startete WACKER in Kooperation mit der Deutschen Rentenversicherung ein Pilotprojekt, das die Gesundheitsvorsorge von Schichtmitarbeitern erfrischend neu gestaltet.

Eigentlich sind die Schichtarbeiter bei WACKER ja körperliche Anstrengung gewöhnt, aber beim Nordic Walking am Starnberger See kommen die meisten trotzdem ganz schön ins Schwitzen. Am ersten Tag von „Fit auf Schicht“ steht kein gemütlicher Spaziergang auf dem Programm, sondern alle zehn Teilnehmer marschieren flott über den Feldweg. Und selbst erfahrene Walker wie der Anlagenfahrer Günther Zechmeister sind begeistert: „Dieser Tag im Freien war wirklich interessant“, sagt er hinterher, „ich hab' neue Walking-Schritte gelernt. Das hätte ich nicht unbedingt erwartet.“

Neunmal im Jahr haben bis zu 15 Mitarbeiter die Chance, in das Programm einzusteigen.

„Fit auf Schicht“ ist ein Präventionsprojekt zur Gesundheitsvorsorge von Schichtmitarbeitern bei WACKER. Neunmal im Jahr haben bis zu 15 Mitarbeiter die Chance, in das Programm einzusteigen, das aus insgesamt vier Phasen besteht. Phase 1, die stationäre Phase, findet in der Klinik am Starnberger See statt und dauert fünf Tage. In dieser Zeit absolvieren die Teilnehmer zunächst einen Gesundheitscheck. Anschließend geht es darum, in Seminaren und Trainings einfache, praktische Werkzeuge zu finden, mit denen sich die eigene Gesundheit erhalten und verbessern lässt.

Eine Trainerin erklärt den Muskel-Skelettapparat (Logo)

Richtig heben will gelernt sein. Dabei hilft auch eine
Einführung in den Muskel-Skelettapparat.

Günther Zechmeister beim Nordic Walken (Logo)

Selbst erfahrene Walker wie Günther Zechmeister lernen bei „Fit auf Schicht“ noch neue Schritte.

Rückenschonend heben

Für Annett Pleil zum Beispiel ist die Rückenschule am zweiten und dritten Tag besonders wichtig. „Ich arbeite in der Polysilicium-Reinigung“, erzählt sie, „da gehört es zu meinem Job, bis zu zehn Kilogramm schwere Säcke in einen Karton zu heben. Auf die Dauer geht das auf den Nacken und aufs Kreuz.“ In Höhenried erhofft sich die 45-Jährige Tipps, wie sie ihre Muskeln stärken und rückenschonend heben kann.

Die Rückenschule beginnt mit einer Geh-Übung: Jeder trägt eine graue Plastikkiste vor sich her, in der Sandsäcke liegen. Die Trainerin erklärt, wie man die Kisten am besten anhebt: „Mit den Fußsohlen auf dem Boden bleiben, gerader Rücken und gekipptes Becken, mittige Belastung.“ Es hilft, sich das Becken als eine Wasserschale vorzustellen – beim Heben sollte das Wasser aus der Schale fließen. Beim Gehen wiederum sollen die Teilnehmer sich vorstellen, sie hätten gerade eine Goldmedaille errungen: Jetzt schreiten sie mit stolz geschwellter Brust durch die Turnhalle.

„Mit den Fußsohlen auf dem Boden bleiben, gerader Rücken und gekipptes Becken, mittige Belastung.“

Eine Trainerin erklärt, wie man Kisten am besten anhebt.

Eine Trainerin erklärt, wie man Kisten am besten anhebt (Logo)

Annett Pleil findet, solche kleinen Tipps lassen sich im Arbeitsalltag leicht umsetzen. Noch wichtiger aber ist für sie, dass diese Tage am Starnberger See nur der Anfang sind. Denn auf die stationäre folgt eine ambulante Phase: Zwölf Wochen lang regelmäßiges Rücken-, Kraft- und Ausdauertraining mit einem Trainer des Sportvereins SV Wacker Burghausen, dazu Entspannungstraining und Ernährungsberatung. Nach diesen 12 Wochen führen die Teilnehmer in der dritten Phase ein selbstgewähltes Training in Eigenregie fort. „Dazu gibt es beim SV Wacker zum Glück viele gute Möglichkeiten“, sagt Annett Pleil. Und sie weiß auch schon, welche Schwerpunkte sie in dieser Selbststeuerungsphase setzen wird: „Ich werde ThaiBo machen, eine Art Thaiboxen“, sagt sie, „und natürlich Rückentraining.“

Langfristige Verbesserungen

Seit dem Start im Sommer 2013 haben mehr als 200 Wechselschicht-Mitarbeiter aus dem Werk Burghausen an „Fit auf Schicht“ teilgenommen. „Wir wissen nicht genau weshalb, aber hinterher arbeiten fast alle Teilnehmer viel entspannter“, sagt WACKER-Werkärztin Dr. Ursula Bailer. „Es gibt kein Ziel, abzunehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören – aber viele Teilnehmer tun es trotzdem. Zwei Drittel von ihnen ändern ihren Lebensstil langfristig: Sie treiben mehr Sport, ernähren sich gesünder, können besser mit Stress umgehen.“

Dr. Ursula Bailer im Gespräch mit Bernhard Rothenaicher (Logo)

„Zwei Drittel ändern ihren Lebensstil langfristig.“

Dr. Ursula Bailer bespricht mit Bernhard Rothenaicher die Folgen seines neuen Lebensstils. Der Anlagenfahrer verlor deutlich an Gewicht, sein Blutdruck sank.

Anlagenfahrer Bernhard Rothenaicher gehörte zu den ersten Teilnehmern von „Fit auf Schicht“. Anfangs machte er sich noch über die Empfehlung lustig, auf die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln zu achten. „Heute schau ich genau, was drin ist“, sagt er, „und gerade dieser Tipp hat mir besonders viel gebracht.“ Zum Start des Programms wog Rothenaicher 104 Kilogramm, bei einer Größe von 1,79 Metern. Er setzte sich 95 Kilogramm als Zielmarke. Aber als er nach einem Jahr die vierte Phase in Höhenried absolvierte, einen zweitägigen „Refresher“, da waren es nur noch 92 Kilogramm – und auch sein Blutdruck war deutlich gesunken.

Sein Erfolgsrezept: Nach der ersten Phase hatte Rothenaicher zunächst damit begonnen, endlich seinen Crosstrainer zu nutzen, der schon lange ungenutzt bei ihm zu Hause stand. Später kamen Krafttraining und Joggen hinzu. Vier Monate nach der Startphase in Höhenried stellte der 50-Jährige dann auch seine Ernährung um. „Die zwei Wurstsemmeln zur Frühschicht sind gestrichen“, erzählt er, „stattdessen nehme ich einen Salat mit in die Arbeit oder Quark mit Obst. Auch Cola trinke ich nicht mehr, beim Bier bin ich auf alkoholfrei umgestiegen.“

Bei Bernhard Rothenaicher purzelten daraufhin nicht nur die Pfunde, sondern es stellte sich auch ein familiärer Effekt ein, den Dr. Ursula Bailer häufig beobachtet: „Die Partnerinnen machen auch mit – und alle sind glücklich.“ Im Falle von Bernhard Rothenaicher beteiligte sich die ganze Familie: „Meine beiden erwachsenen Kinder, meine Frau und ich, wir haben im letzten Jahr zusammen 50 Kilo abgenommen“, erzählt er sichtlich stolz. Im letzten Jahr hat er dann zum ersten Mal in seinem Leben einen Halbmarathon absolviert, einstweilen aber noch ohne Frau und Kinder.

Pizza contra Spaghetti

Zurück nach Höhenried: Nach Aquatraining und Rückenschule steht am Nachmittag des dritten Tages das Ernährungsseminar an. Die Ernährungswissenschaftlerin Kathrin Karau deckt einen Tisch mit Pizza, Pommes, Currywurst – in Originalgröße abgebildet auf Fotos. „Lecker“, sagt jemand und dreht das erste Foto um. Auf der Rückseite steht, wieviel Fett und Kalorien eine solche Salami-Pizza enthält – da vergeht der Appetit drauf.

Die Teilnehmer stellen sich anschließend verschiedene Foto-Menüs zusammen. Und siehe da: Spaghetti Bolognese mit Salat macht genauso satt wie die Pizza, enthält aber nur 30 Prozent der Fettmenge. Für Günther Zechmeister, den erfahrenen Walker aus Braunau, ist das nichts Neues: Der Anlagenfahrer aus dem Bereich Funktionelle Silicone und Öle lebt seit Jahren vegetarisch und treibt viel Sport – neben Nordic Walking vor allem Radfahren und Krafttraining. „Ich bin fit“, sagt er, „aber ich möchte mich weiter verbessern. Deshalb bin ich hier.“ Und tatsächlich erfährt der 36-Jährige an diesem Nachmittag ein paar Dinge, die er noch nicht wusste. So ist es während der Nachtschicht zum Beispiel ideal, gegen vier Uhr morgens eine heiße Suppe oder einen Gemüseeintopf zu essen. Denn um diese Zeit sinkt die Körpertemperatur, und da tut eine heiße Mahlzeit besonders gut.

Ernährungswissenschaftlerin Kathrin Karau (Logo)

Welche Menüs enthalten viele Kalorien? Ernährungs­wissenschaftlerin Kathrin Karau klärt auf.

Dr. Ursula Bailer und Bernhard Rothenaicher (Logo)

Bernhard Rothenaicher gehört zu den ersten Teilnehmern von „Fit auf Schicht“. Noch heute profitiert er von dem Programm.

„Diese Tage in Höhenried haben wirklich etwas gebracht.“


Günther Zechmeister

Anlagenfahrer, „Fit auf Schicht“-Teilnehmer

Am Ende der Woche nimmt Günther Zechmeister aus fast jedem Bereich etwas mit: nicht nur die neuen Schritte aus dem Gesundheitsseminar, sondern auch ein paar leckere Rezepte aus dem Ernährungsseminar oder kleine Entspannungsübungen aus dem Gesundheitsseminar, die beim Einschlafen helfen. Und die Erkenntnis: „Diese Tage in Höhenried haben wirklich etwas gebracht.“ Beim Mittagessen am letzten Tag fällt ihm auf: Anders als zu Beginn ist das leichte, gemüsereiche Essen jetzt schnell vergriffen.

Dr. Ursula Bailer begleitet und unterstützt die „Fit auf Schicht“-Teilnehmer das ganze Jahr über. „Das Gesundheitsniveau verbessert sich deutlich“, sagt sie, „das zeigt sich zum Abschluss des Projekts sowohl an den Laborwerten als auch an den Auswertungen der Fragebögen. Es geht nicht alles weg, aber alles geht besser.“

Die bisherigen Teilnehmer berichten in ihrem Umfeld so motiviert von ihren Erfahrungen, dass sie über kurz oder lang nicht nur ihre Familien mitziehen werden, sondern wohl auch manchen Kollegen. Die hören nämlich jetzt schon äußerst interessiert zu, wenn die Teilnehmer von ihren Gesundheitserfolgen erzählen. Und ansehen tut man ihnen die neuen Gewohnheiten auch schon.